Nachhören https://radiocorax.de/grenzarbeit-zur-verteidigung-einer-antideutschen-linken-gegen-die-querfront/
„Grenzarbeit – zur Verteidigung einer
antideutschen Linken gegen die Querfront
Der Absturz
des antideutschen Theorieorgans "Bahamas" war eher ein Sinkflug. Über
Jahre hinweg sickerte ein spezifischer Jargon ein, bis sich eine Reihe von
Autoren schließlich in Wort und Inhalt der AfD annäherten und öffneten. Die
Aufnahme von Flüchtlingen 2015 wird mit dem Angriffskrieg Deutschlands
verglichen, die AfD für ihre vermeintlich israelsolidarische Positionierung
gelobt, Assad verteidigt, autoritäre Lösungen als adäquate Reaktion auf
überdramatisierte Krisen gepredigt.
Über 15 Jahre hinweg lassen sich strukturelle Ursachen dieses Absturzes vorahnen: Eine konservative Fehlinterpretation der Freudianischen Psychoanalyse, eine teleologische Entwicklungsideologie eines
undialektisch gelesenen Marx, eine gescheiterte Begriffsbildung zum Rassismusproblem, Mythen und Unklarheiten zu komplexen Konflikten wie den Jugoslawienkriegen. Kein einzelner Faktor erklärt das Überlaufen von Teilen der Antideutschen zu Habitus und Positionen der AfD und insgesamt hat man sich vermutlich von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen. Was aber sind Perspektiven einer der Aufklärung verpflichteten antideutschen Linken? Wie lässt sich der Niedergang der "Bahamas" verarbeiten, wie lässt sich das Phänomen eindämmen, wie die Israelsolidarität gegen rechts verteidigen?“
Über 15 Jahre hinweg lassen sich strukturelle Ursachen dieses Absturzes vorahnen: Eine konservative Fehlinterpretation der Freudianischen Psychoanalyse, eine teleologische Entwicklungsideologie eines
undialektisch gelesenen Marx, eine gescheiterte Begriffsbildung zum Rassismusproblem, Mythen und Unklarheiten zu komplexen Konflikten wie den Jugoslawienkriegen. Kein einzelner Faktor erklärt das Überlaufen von Teilen der Antideutschen zu Habitus und Positionen der AfD und insgesamt hat man sich vermutlich von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen. Was aber sind Perspektiven einer der Aufklärung verpflichteten antideutschen Linken? Wie lässt sich der Niedergang der "Bahamas" verarbeiten, wie lässt sich das Phänomen eindämmen, wie die Israelsolidarität gegen rechts verteidigen?“
Ein Vortrag
von Felix Riedel
PS: Eine Kritik:an Felix Riedel
Es soll von
uns Nachgetragen getragen das die Katholiken und deren Bischöfe vor den Nationalsozialismus
gewarnt haben. http://antifagruppeweidenneustadt.blogspot.com/2012/05/katholikentag-in-mannheim.html
Justus
Wertmüller Begründet in seinen Beitrag
das Verbot der NPD augenscheinlich – der Problembär in Karlsruhe, kam aber dem
nicht nach. http://redaktion-bahamas.org/artikel/2018/79-der-problembaer-sitzt-in-karlsruhe/
- Sendungen
- Beiträge
- Gegendarstellung von Paulette Gensler Ein paar Thesen zum Humanismus von Felix Riedel (Teil 1)„Was ich immerhin nicht tue: Vornerum freundlich tun und hintenrum hetzen.“
(Dr. Riedel)
Der einsame aber aufrechte Kritiker, Felix Riedel, ist momentan scheinbar im atheistischen Heiligen Krieg gegen sogenannte „Rechtsantideutsche“, die nun mal der Reihe nach individuell, dann wieder kollektiv ihr Fett abbekommen sollen. Und wo gehobelt wird, fallen schließlich Späne. In den sozialen Netzwerke verkündet Herr Riedel dabei beispielsweise, dass Autoren der Bahamas, „Merkel als Täterin eines white genocide“ bezeichnen würden, und führte als Beleg an: „(Gensler nennt es zwar "Biopolitik" aber es ist das gleiche gemeint)“. Das ist selbst in wohlwollendsten Lesart – heißt: in der Gewissheit, dass die liebsten und intelligentesten Leute sich auf Facebook immer ein kleines Stückchen böser und dümmer machen, als sie es sind – aber schlicht und ergreifend noch zumindest unredlich und letztlich falsch. Da vom „White Genocide“ in der Regel nur Nazis oder andere stolze Weiße fabulieren, dürfte der darin enthaltene Vorwurf wohl klar sein; doch kann man zur Sicherheit Riedel selbst sprechen lassen: „Die Wahnfigur "white genocide" in der AFD- und PEGIDA-Szene ist unmittelbar mit der Vorstellung einer jüdischen Macht dahinter verbunden, deren Personifizierung vorerst in Merkel gesehen wird.“ Das heißt: Nicht nur spräche ich angeblich von einem „white genocide“, sondern würde auch „unmittelbar“ antisemitische Ressentiments gegenüber Merkel hegen. Das ist derselbe Herr Riedel, der vor kurzem noch schrieb: „Liebe Paulette, Das von dir angeführte Wertmüller-Zitat nehme ich gewiss nicht zur Einstufung als rechtsantideutsch oder gar „Nazi“ (das würdest du von mir so gewiss nicht lesen).“ Nun also aber doch, wenn man es auch – das sei eingestanden - „so“ tatsächlich nicht lesen konnte, sondern in einer leicht verklausulierten Formulierung, die aber für alle ersichtlich auf das Nämliche hinweisen sollte.
Die Frage ist nur, wie reagiert man auf jemanden, der über die sogenannten „Rechtsantideutschen“ vermerkt, diese „widerrufen in bestem Judith-Butler-Stil: Man habe das nicht so gesagt, was man eben gesagt hat“, wenn sein eigener Einwurf deutlich sagt: Ich hätte das so zwar nicht gesagt, aber gemeint? Es ist schwierig. Von daher tut eine kleine intellektuelle Selbstverteidigung not, die auch das Zitieren aus der Halböffentlichkeit erlaubt, wenn jemand, mit dem man auf seinem öffentlichen Blog eine für beide Seiten vielleicht wenig gewinn- oder erkenntnisbringende, aber zumindest recht gesittete Diskussion führte, plötzlich in jener Halböffentlichkeit der Sozialen Netzwerke mit recht abstrusen Behauptungen über die Gegenseite hausieren geht. Zugegeben: das ist eine mehr als unschöne Angelegenheit, aber eine der wenigen Möglichkeiten für eine gewisse Waffengleichheit gegen diese Social Media-Aktivismus zu sorgen.[1] Darüber hinaus gebe ich zu, solches Agieren durchaus persönlich zu nehmen; und zwar nicht nur aufgrund der falschen Behauptung, sondern mehr noch aufgrund des Lokus und Modus, der darauf baut, dass man selbst sich gar nicht dagegen zur Wehr setzen kann.
„Was ich immerhin nicht tue: Vornerum freundlich tun und hintenrum hetzen.“ (Dr. Riedel)
Wer sich nur noch auf sein Assoziationsvermögen beruft, kann natürlich auch schreiben: Der Bahamas „geht es um Formierung, um Feindbestimmung ohne Inhaltsprüfung“, um gleich hinterherzuschieben: „Schlimm kann man die Verhinderung [eines Vortrages durch antirassistische Wutstudenten] nur finden, wenn man davon ausgeht, dass das [Felix Perrefort und „Umfeld Bahamas“] welche "von unseren" sind.“ Unausgesprochen bleibt natürlich, dass dieses „wir“ nur durch das Geplärre gegen „Rechtsantideutsche“, die man zu diesem Zweck erst erfinden musste, überhaupt entsteht. Dabei hatte Riedel in seinem Beitrag „Rechtsantideutsche – zur Genese eines Phänomens“[2] doch deutlich gemacht, dass das, was man heute „Rechtsantideutsche“ schimpft, schon seit 1994 mehr oder weniger so schrecklich gewesen sei wie heute; dass es eine „Genese“ also eher auf der Seite der „Linksantideutschen“ gäbe. Würde man darüber jedoch schreiben, müsste man eingestehen, dass man mit riesigen Schritten in eine Linke zurückkehrt, von der man sich – sofern man ihr nicht ganz den Rücken kehrte – aus guten Gründen etwas ins Abseits stellte. Die heutige Abgrenzung Riedels hat natürlich nichts damit zu tun, dass der Kampf um die linksakademischen Vortragstöpfe mit härteren Bandagen geführt wird. Keineswegs steht dies in einem solchen Kontext, wenn er in einer seitenlangen „Fußnote zu Thomas Maul“ verkündet: „Wer Thomas Maul (oder auch Justus Wertmüller, Clemens Nachtmann, Magnus Klaue, Sören Pünjer, Felix Perrefort) 2018 noch einlädt und sich überrascht gibt über AFD-positive Äußerungen vor dem Vortrag, dem kann man zumindest Naivität oder Lesefaulheit vorwerfen“, und nicht einfach, dass dieser jemand nicht stattdessen den Herrn Doktor Riedel einlud, der sich selbst immerhin als „Berufsintellektueller“ bezeichnet. Nun besteht ein Grundproblem des Geschwafels von einem Dies- und Jenseits irgendeiner „Barrikade“ darin, dass Biskamp, Torsch, Riedel, Irmschler, Fischer und wie sie nicht alle heißen, sich über weite Strecken nichts zu sagen haben, sie es ohne gemeinsames Feindbild „auf ihrer Seite der Barrikade“ also gar nicht gemeinsam aushalten würden.
1.
Nun ist es ja wahrlich nicht so, dass man bezüglich der Asyl- bzw. Flüchtlingskrise die Regungen, welche aus Riedels Einwürfen sprechen, nicht selbst teilt. Der Unterschied besteht vor allem darin, dass man nicht jedes erste moralische Zucken unmittelbar für ein fertiges Urteil hält. Wenn nun jemand „Bio-Politik“ geschrieben sieht und im eigenen Kopf nur „Genozid“ ankommt, er aber nicht nachfragt, sondern diese „Verzerrung“ in den Orkus der Sozialen Medien „zitiert“, kann man nur fordern – und ich hätte auch nie gedacht, dies einmal zu schreiben: „Lies Foucault!“, auf den der damalige Verweis abzielte. Dieser schrieb in seiner Vorlesung vom 17. März 1976: „Die neue Technologie dagegen richtet sich an die Vielfalt der Menschen, nicht insofern sie sich zu Körpern zusammenfassen lassen, sondern insofern diese im Gegenteil eine globale Masse bilden, die von dem Leben eigenen Gesamtprozessen geprägt sind wie Prozessen der Geburt, des Todes, der Produktion, Krankheit usw. Nach einem ersten Machtzugriff auf den Körper, der sich nach dem Modus der Individualisierung vollzieht, haben wir einen zweiten Zugriff der Macht, nicht individualisierend diesmal, sondern massenkonstituierend, wenn Sie so wollen, der sich nicht an den Körper-Menschen, sondern an den Gattungs-Menschen richtet.“
Biopolitik ist demnach in erster Linie eine kollektive, institutionelle, oder einfach staatliche Regulierungen kollektiver Menschenmassen, die verschiedenen Kategorisierungen unterliegen. In eben diesem Sinn wird der Begriff in der Literatur – vor allem in Bezug auf Flüchtlingsfragen – meines Erachtens verwendet – ein paar Beispiel:
„Egal bei welcher Rechtslage, biopolitische Erwägungen sind in jeder Einwanderungspolitik machtvoll präsent. […] Die Politik der deutschen Regierung 2015 lässt sich als Versuch auffassen, die moralischen und politischen Aporien von Einwanderungs- als Biopolitik humanitär zu entsorgen. […] Auch "Buntheit" als biopolitisches Ziel kann regimefreie Einwanderung nicht wirklich rechtfertigen.“[3]
„Foucault wollte mit dem Begriff der Bio-Politik nicht anklagen, so sehr er moralisch irritiert. Denn zur gesellschaftlich organisierten Bio-Politik gehört inzwischen auch moralisch so hoch Geschätztes wie Seuchenkampagnen, Impfkampagnen, flächendeckende medizinische Versorgung, allgemeine Krankenversicherung, Familienförderungs- und Einwanderungspolitik, Entdiskriminierungs- (z.Bsp. Homosexualität) und -Diskriminierungskampagnen (z.B. Kindesmissbrauch), auf die moderne demokratische Gesellschaften keinesfalls verzichten wollen. Auch wenn man erfahren musste, wie entsetzlich Bio-Politik in staatlich organisierte Eugenik, Rassismus, ethnische Säuberung und Völkermord ausufern kann, ist auf Bio-Politik schlechthin nicht mehr zu verzichten.“[4]
„An der Grenze zu Polen ist es Normalität geworden, dass Flüchtlinge sterben oder Bissverletzungen von den Hunden der Grenzschützer erleiden. Flüchtlinge sind die weitgehend rechtlose Manövriermasse einer europäischen Biopolitik - so rechtlos wie billig als Arbeitskräfte und deshalb z.B. in der Gastronomie sehr begehrt.“[5]
Ich vermerkte bei Riedel, den Begriff der „Biopolitik“ „durchaus wertfrei“ als Bevölkerungspolitik gemeint zu haben, und bezog mich damit implizit auf die Spannweite des Begriffs, wie er sich in den obigen Zitaten abzeichnet. Riedel hingegen verkündet, Solidarität müsse enden, „wo Gensler die Einwanderungspolitik Merkels als "Biopolitik" gegen Polen bezeichnet,“ wobei das „wo“ und nicht „wenn“ unterstellt, dass dies überhaupt irgendwo geschehen sei.
Ich schrieb und Riedel selbst zitierte in seinem Artikel: „auch ohne Bahamaslektüre, aber nach einem kurzen Blick in ein durchschnittliches Geschichtsbuch wäre doch zu erkennen, dass es eventuell Gründe gibt, aus denen sowohl die polnische Regierung als auch Bevölkerung etwas sensibel auf deutsche Biopolitik auf polnischem Boden reagiert.“ (Hervorhebung durch Riedel selbst!)[6]
Könnte er also lesen, hätte er verstanden, dass ich die Einwanderungs- oder Bevölkerungspolitik Deutschlands, und nicht Merkels,[7] als deutsche Einwanderungs- oder Bevölkerungspolitik beschrieb, die auch „auf polnischem Boden“, demnach in Polen, vonstattengehe. Auch darüber, also die Frage, inwieweit jene oberflächig europäische Politik der Tendenz nach deutsch ist, ließe sich vermutlich streiten. Aber statt dass ich geschrieben hätte, dass diese sich objektive „gegen Polen“ richten würde, hieß es schlichtweg, dass man darauf in jenem Land aus historischen Gründen etwas „sensibel“ – das wiederum heißt, durchaus nicht per se sachlich – reagiert. Ferner ist mit solchen Einlassungen nicht gesagt, dass Polens Abschottung nicht selbst eine Form jener Biopolitik ist. Wozu ich nicht so schnell wie Riedel bereit bin, ist, zu vergessen, dass Polen eine etwas längere Geschichte mit deutscher Bevölkerungspolitik hat, die vom Deutschen Orden, über drei polnische Teilungen hin zur vierten polnischen Teilung zwischen NS und Stalinismus und der Besatzung durch NS, zu der ferner der Massenmord der polnischen Juden, bei denen man in Deutschland wie Martin Stobbe betonte, nur zu gern vergisst, dass sie polnische Staatsbürger waren, gehörte. Hätte Riedel also eingewandt, dass „Sensibilitäten“, die sich auf solche historischen Momente beziehen, kein Maßstab in der Debatte sein können oder dürfen, hätte man darüber diskutieren können. Nur kann dies niemand einwenden, der sich selbst am laufenden Band auf seine eigenen Gefühlslagen bezieht, sich als „Helfer“ missverstanden und ungerecht behandelt, also nicht genügend geehrt fühlt in seinem Ehrenamt, und für den eine Indianerdarstellung im Cartoon sogleich eine „Glorifizierung der genozidalen Massaker an den indigenen Gesellschaften“ darstellt.
In einem Anflug „konstruktiver Kritik“ schrieb ich bei Riedel weiter:
„Zum Thema Polen, bei dem ich mir tatsächlich den Vorwurf des Vulgärantideutschen gefallen lassen würde. Ganz pragmatisch wäre ich der Ansicht, dass, wenn die deutsche Kanzlerin verkündet „Wir schaffen das!“, Polen bspw. sagt „Wir nicht!“ – und zwar egal wie fragwürdig die Gründe seien – hätte Deutschland auch einfach die Quote Polens etc. übernehmen können bzw. m.E. müssen, anstatt es gegen den Willen dem Nachbarstaat, den man nicht erst seit zwei Jahren wieder arg paternalistisch behandelt, über das Medium EU überzuhelfen. Und ich meine auch, dass dies – angesichts der Stimmung in manchen der betreffenden osteuropäischen Staaten – gerade auch den Flüchtlingen, um die es geht, gegenüber fairer wäre.“
Es verdient schon eine Anerkennung der Imaginationsgabe, die aus solchen Sätzen das Palaver von einem „White Genocide“ herauskristallisiert.[8] Ich schrieb also „wertfrei“ von einer Biopolitik - was, das gebe ich zu, tatsächlich problematisch ist; jedoch in einem ganz anderen Sinn, als es Riedel jemals einfallen würde; und zwar meine ich, dass das Problem die Biopolitik mit Flüchtlingen als Ganze ist und nicht nur eine bestimmte – so sehr sich selbstverständlich die Unterschiede in den Motivationen, die den verschiedenen Ausformungen solcher Art der Politik zugrunde liegen, voneinander abheben und bewerten lassen. „Die europaweit vereinbarte Verteilung von 120,000 Flüchtlingen sollte primär Italien und Griechenland entlasten“, schreibt Riedel und fährt fort: „Wirtschaftliche Ausgleichsregelungen sind vorgesehen. Daraus ein „deutsches“ Projekt, gar „Biopolitik“ zu machen, zeugt vom Realitätsverlust ebenso wie von der Aufgabe von Aufklärung als Möglichkeit.“ Riedel betreibt also grobe Sprachkritik, während sich bei mir in der Tat schon aufgrund der Formulierung von der „Verteilung“ von Menschen, Unbehagen regt, weil ich der Ansicht bin, dass Dinge verteilt gehören, keine Menschen. Aber die Formulierung drückt selbstverständlich die ekelhafte Realität aus, und bezieht daher ihr Recht; von daher kann man das schon einmal schreiben. Bezeichnend ist bloß, dass für Riedel der Begriff der „Biopolitik“ ein größeres Unbehagen auslöst, als die tatsächlich streitbare Formulierung eines „“deutschen“ Projekts“. Was sich in diesem zweifelhaften Fokus ausdrückt, ist natürlich die Ahnung, dass die Absage an reinste Biopolitik ja gerade im Bestehen auf den individuellen Fluchtursachen bestünde, insofern es sich um individuelles und nicht um ein kollektives Recht handelt. Dagegen ist Riedels Argumentation und Forderung, wie viele Flüchtlinge Europa aufzunehmen habe – selbst durch und durch biopolitisch – ohne dies freilich offen auszuplaudern – schon allein aufgrund der suggerierten rein prozentualen Aufnahmefähigkeit, die seiner Quantifizierung zugrunde liegt:
„Erforderlich wäre nämlich 15 Millionen Flüchtlinge in den nächsten 2-3 Jahren aktiv einzufliegen als global vernünftiges und angemessenes Minimum, allein um den akutesten Auswanderungsdruck im afrikanischen Konfliktgürtel, im Sahel und im Nahen Osten ein wenig aufzufangen.“ Die Erläuterung der Zahlen aber lautet dann: „Die 15 Millionen sind 3 Prozent der EU-Bevölkerung und 2 Prozent der europäischen. So kam ich einmal darauf. Zugleich sind 15 Millionen 25 % der weltweiten Fluchtbewegung. Wenn man das noch mit der Wirtschaftsleistung (Die EU hat im Weltvergleich das größte BIP) vergleicht, sollte klar sein, dass das eine Untergrenze ist, die noch nicht einmal realistisch dem Ideal einer gerechten Verteilung entspricht.“
Schon die Formulierung, „realistisch dem Ideal einer gerechten Verteilung entspricht“, lässt die Frage aufkommen, inwiefern „realistisch“ mit „Ideal“ oder „gerecht“ – letzteres hat Riedel mal so schnell und nebenbei mit dem Taschenrechner bestimmt – auch nur im Ansatz zusammenpassen. Zur Beantwortung jener Frage betrachte man die Vermittlung der Wirklichkeit mit Riedels Vernunft im biopolitischen Humanismus: „Rein faktisch: Die gesamte Weltbevölkerung würde bei einer Besiedelungsdichte von New York auf eine Fläche des Staates Texas passen.“ „Rein faktisch“ meint hier schon „rein mathematisch“ oder „geometrisch“ und wo der Mann Recht hat, hat er Recht: in New York leben 11,000 Menschen/km²; die 7418 Millionen Menschen, welche momentan auf der Welt leben, passen also durchaus nach Texas, mit seinen 700.000 km² - und da es bekanntlich eh kein richtiges Leben oder Wohnen im Falschen gäbe, kann man aus dem behaglichen Marburg heraus auch schreiben: „Europa könnte bei etwas Komfortverlust eine Verdreifachung der Bevölkerungszahl verdauen, wenn man etwas zusammenrückt. Dort wo heute ein Mensch wohnt, würden drei wohnen. Das ist in weiten Teilen des Landes überhaupt kein Problem und würde immer noch die Wohnflächen etwa in Tokio übertreffen.“
Es ist erstaunlich, wie jemand, der sich über den Begriff Biopolitik echauffiert, nicht bemerkt, dass ein Körper „verdaut“ und jener Körper vor allem „etwas“ und nicht jemanden verdaut. In genau solcher als „Humanismus“ gespriesenen Denkungsart steht Riedel der Aussage Gaulands in nichts nach: „Es ist die Sache der Polen zu entscheiden, wie viele Flüchtlinge sie in ihrem Volkskörper haben wollen.“ Der einzige Unterschied zwischen Gauland und Riedel besteht neben der etwas anderen Benennung des gleichen biopolitischen Grundgedankens in dem jeweiligen Fokus auf den „Willen“ oder „Unwillen“ (Gauland) und der „Fähigkeit“ (Riedel) zum „Verdauen“ von Flüchtlingen. Mit diesem Unterschied einher geht tendenziell ein Unterschied im Fokus auf die Qualität (Gauland) und Quantität (Riedel), und des jeweiligen Umschlags in das andere. Dass sich Gauland hierbei auf eine Qualität bezieht, heißt natürlich nicht, dass diese nicht ordentlich krude ist. Während also Gauland verteidigt, dass Polen sich gegen die Aufnahme einer wirklich geringen Quote von Flüchtlingen wehrt, wirft Riedel vor: „Für euch ist es eine Zumutung, dass EU-Länder wenigstens ein paar Dutzend Flüchtlinge aufnehmen, wozu sie sich verpflichtet haben.“ Es bleibt schwer zu verstehen, wie man sich derart echauffieren kann, wenn es sich doch offensichtlich um eine fast schon symbolische Anzahl von Menschen handle, die einen prinzipiell vorhandenen Humanismus darstellen soll, während meines Erachtens Deutschland in diesem Fall die polnische Quote übernehmen sollte; was ich bei „ein paar Dutzend“ Flüchtlingen wahrlich nicht für eine Zumutung halte. Wirklich fatal aber ist daran, dass Riedel zum einen Polen ausmalt als den Ort des Schreckens, zum anderen aber tatsächlich im antifaschistischen Kampf Flüchtlinge in diesen Ort schicken würde, sie also im Kampf für den Humanismus einfach verheizen würde, während doch die offensichtliche Reaktion auf eine solche „Erkenntnis“ sein müsste, sie um keinen Preis dorthin zu schicken, bis sich die Lage verbessert hat.[9]
So bleibt mir auch unerklärlich, wie man nicht schlicht und ergreifend aufgrund der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte fordert, dass diese mehr Polizeischutz benötigen, und stattdessen weiter darauf hofft, den letzten Nazi zu einem Moralwechsel überreden zu können; vermutlich, da dies offensichtlich bedeuten würde, mehr Polizisten einzustellen.
2.
Spricht man aber von einer Aufnahmefähigkeit, die immer auch den Gedanken an einem gesättigten Zustand gemahnt, muss auch dieser irgendwie begründet negiert, also erstere als absolute mit der Realität vermittelt werden. Wenn wir also über einen Realitätsbezug sprechen wollen, dann lautet dieser bei Riedel wie folgt:
„Also Aufnahme von zwei Milliarden im extremen Krisenfall (Meteorit, Nuklearkatastrophe, Erdbeben, Klimaveränderung) kein Problem - werden halt weniger Ressourcen in Luxusautos, Rasenmäherroboter oder Handtäschchen gesteckt, sondern Busse, Wohnungen und Nahrungsmittel hergestellt.“ Und genau solche Sätze muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ohne jetzt auf diese unglaublich altlinke Dekadenzfeindschaft einzugehen, sagt Riedel nicht anderes als: Umso mehr Flüchtlinge man also aufnimmt, umso näher rückt man automatisch dem Kommunismus oder zumindest Sozialismus. Es sei alles „kein Problem“ und ginge „ohne einen Finger krumm zu machen.“ Dagegen muss man ja selbst Merkel in Schutz nehmen, deren Satz „Wir schaffen das!“ – und nicht „Das wird schon!“ - zwar nicht sagte was, aber immerhin durchblicken ließ, dass man sehr wohl irgendetwas tun (oder aussitzen) muss, was wiederum nicht heißt, dass genügend oder das Richtige getan würde. So ist der angebliche „Abschied der Redaktion Bahamas vom Humanismus ebenso wie vom Realitätsprinzip“ erst einmal bloß ein Abschied vom Humanismus und Realitätsprinzip des Herrn Riedel; ohne damit unterstellen zu wollen, es wäre jemals jemand dort gewesen. Die Flüchtlinge erweisen sich also doch als revolutionäre – vielleicht nicht Subjekte, aber als – Objekte, an denen Deutschland und Europa Richtung Kommunismus genesen könne. Wobei Riedel diesen eher als eine Staatskommune imaginiert.
„Was man aber macht: Selbst in der ökonomischen Weltmacht Deutschland mit seinem Leerstand von ganzen Stadtvierteln und Vollbeschäftigung jammert man schon bei ein paar hunderttausend Flüchtlingen rum, mal geht es um angebliche Kosten, die man angeblich nirgends auftreiben kann, mal um den Platz, der angeblich nicht da ist. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass die, die da kommen, halt nicht von hier sind. Und das ist Grund genug, sie in den Tod laufen zu lassen, die Überlebenden in dreifach überbelegten Lagern zu quälen und die, die es dann irgendwann trotzdem noch schafften mit permanenter Larmoyanz auf ihre angebliche Unaufklärbarkeit festzunageln während man selbst noch nicht mal den Religionsunterricht oder den Adelstitel abgeschafft bekam.“
Nun sind zwar die Adelstitel im Nachnamen aufgehoben und somit faktisch abgeschafft. Auch gab es bis vor wenigen Jahren in Berlin noch eine Zeit, in der der Religionsunterricht für die drei Leute, die ihn besuchten, in der zehnten Stunde oder so stattfand. Wenn dies die einzigen Beweise für eine mangelnde Aufklärung der Europäer sind, stünde es um Europa ziemlich gut. Vor allem aber fallen Kosten tatsächlich an; diskutieren kann man darüber, ob man sie - meint wohl eher die Mittel, um die Kosten zu bewältigen - zur Verfügung habe, was man nicht tut, wenn man sie einfach leugnet.
Ohne Frage wäre natürlich der deutsche Fetisch einer schwarzen Null massiv zu kritisieren, und dies auch ganz ohne Flüchtlinge. Und doch wäre es fatal, zu verkennen, dass in der Politik eine offene transparente Diskussion darüber, was die Kostensteigerungen bedeuten, wie diese aufgefangen werden etc. gerade nicht geführt wurde. In diesem Sinne ist und bleibt es latent makaber, dies Leuten vorzuwerfen, die von Sozialleistungen abhängig sind, und aus einer gewissen Erfahrung, ahnen, dass es massiv auf ihre Kosten erfolgen wird. Gegen den allseits beliebten Einwand, dass AfD-Wähler wirtschaftlich gar nicht so viel schlechter dastehen als der Durchschnitt, wäre an die simple Erkenntnis der Kritischen Theorie zu erinnern, dass Abstiegsängste wichtiger als oder zumindest ebenso wichtig sind wie die aktuelle, persönliche wirtschaftliche Situation.[10]
Abhängig von jenen Leistungen sind in Deutschland virtuell und potenziell weit mehr Personen, als es die Zahlen der ALG2-Empfänger nahelegen, was sich schon durch einen Blick auf die Nettovermögen zeigen ließe. Seit Jahren liegen das durchschnittliche Nettovermögen der Deutschen am unteren europäischen Ende, und zwar weit nach Griechenland, Spanien oder Italien. Das heißt nichts anderes, als dass die Deutschen mehr als viele andere Europäer (potentiell) auf den Sozialstaat angewiesen sind, da sie keine größeren privaten Rücklagen für das Alter oder Ähnliches besitzen. Bezöge man die Rentenansprüche mit ein, hätten die Deutschen ein erheblich höheres Vermögen, aber es handelt sich eben nur um Ansprüche, von denen kaum mehr jemand glaubt, dass sie faktisch auf absehbare Zeit erwirtschaftet werden können. Dazu kommt das für Europa ungewöhnliche hohe Verhältnis von Mietwohnungen im Vergleich zu Wohneigentum. Das alles macht die Deutschen nicht zu armen und zu bemitleidenden Geschöpfen, wohl aber zu welchen, die in einem seltenen Ausmaß von ihrem (Sozial-)Staat abhängen. Geht die Aufnahme von Flüchtlingen mit der zunehmenden oder befürchteten Rigidität von Hartz 4 einher, dürfte es kaum verwundern, wenn gewisse Leute dort einen Zusammenhang aufmachen(!), und einige ihren kommenden Hartz-Status dabei gedanklich vorwegnehmen. Mir geht es wahrlich nicht darum, jenen Zugang zu verteidigen. So schrieb ich bei Riedel: „Denn Geld scheint mir in der Tat ein Gegenstand zu sein, an dem man die Chauvinisten [...] sehr leicht unterscheiden kann von jenen, die andere Anliegen mit in die Debatte bringen.“ Gegen die Sorgen, welche sich in diesem Finanzthema kundtun, arbeiten aber weder Riedel, der so tut, als fielen die Kosten bloß „angeblich“ an, noch die Bundesregierung, welche sich mit der Kalkulation der Kosten nicht gerade mit Transparenz bekleckert hat. Die Beteuerungen, dass die Steuern nicht erhöht würden, um die Finanzierung der Flüchtlinge zu gewährleisten, war und ist nicht gerade vertrauensbildend, denn irgendwo muss das Geld umgeschichtet werden, und zahlreiche „Finanzexperten“ sind sich sicher, dass Steuererhöhungen oder Kürzungen von Leistungen sowohl bei den bisher nach Deutschland Geflüchteten als auch bei steigenden Flüchtlingszahlen, die es bis Deutschland schaffen würden, unvermeidlichen wären. Darunter finden sich natürlich auch Prognosen, die in finanzielle Katastrophenszenarien auslaufen. Tatsächlich erhöhten einige Kommunen die Steuern. Dies wäre sehr viel weniger „Öl ins Feuer der Rechtspopulisten“, wie immer wieder sofort behauptet, als vielmehr die ideologischen Beteuerungen, dass man das alles schon schaffe, ohne dass sich etwas ändert. Eine Gemeinde, die eine Steuererhöhung mit dem höheren Asylaufkommen begründete, schob schnell nach: „Die Verwaltung räumt ein, dass es besser und besonnener gewesen wäre, auf detaillierte Begründungen im Begleitbrief zur neuen Steuerfestsetzung zu verzichten.“ Das heißt, es wäre besser gewesen, weniger transparent zu arbeiten. Letztlich ließ sich aus Merkels Beteuerung, dass es zu keinen Steuererhöhungen oder Kürzungen von Leistungen käme, die seit einiger Zeit laufende Abriegelung der Grenzen schon heraushören. Andernfalls hätte man vermutlich einmal offenlegen müssen, wie viele Flüchtlinge wie lange mit dem bisherigen Budget finanziert werden können, und ab wann mehr Mittel benötigt werden würden.
Ist der Reizschutz des Herrn Doktor aber einmal durchdrungen, artikuliert sich reinster Manier von Torsch die blanke Wut als Identifikation mit dem Angreifer: „Dieses Kleinklein ist derart kleingeistige Inselmentalität, dass man den Islamisten nur gutes Gelingen wünschen kann. Europa hat ihnen an Intellekt oder Moral nichts mehr entgegen zu setzen. Es ist lediglich durch Jahrhunderte der Sklaverei und Ausbeutung ein bisschen reicher geworden. Libanon hat mehr syrische Flüchtlinge aufgenommen als Deutschland. Selbst die islamo-faschistische Hisbollah hat offenbar eine höhere Lebensethik als dieses Land.“[11]
Es ist ein wenig überraschend, wie schnell man sich mit der Hisbollah, einem der Feinde Israel, der außerdem für einen gehörigen Anteil der Flüchtlinge direkt und handgreiflich verantwortlich ist, identifizieren kann, wenn es bloß gegen die AfD und CSU geht, anstatt zu erkennen, dass sowohl die begrenzte Aufnahmebereitschaft der Hisbollah als auch die Ablehnung der AfD in verschiedener Weise Resultate eines objektiven Wandels in der Vorstellung von Asyl darstellen, dessen Einsetzen Horkheimer in „Dämmerung“ schon registrierte:
„Früher oder später wird das Asylrecht für politische Flüchtlinge in der Praxis abgeschafft. Es passt nicht in die Gegenwart. Als die bürgerliche Ideologie Freiheit und Gleichheit noch ernst nahm und die ungehemmte Entwicklung aller Individuen noch als Zweck der Politik erschien, mochte auch der politische Flüchtling als unantastbar gelten. Das neuere Asylrecht gehörte zum Kampf des dritten Standes gegen den Absolutismus, es beruhte auf der Solidarität des westeuropäischen Bürgertums und seinesgleichen in zurückgebliebenen Staaten. Heute, wo das in wenigen Händen konzentrierte Kapital zwar in sich gespalten, aber gegen das Proletariat zur solidarischen und reaktionären Weltmacht geworden ist, wird das Asylrecht immer störender. Es ist überholt.“[12]
Tatsächlich zeigt sich, dass das Asylrecht vorerst nicht völlig abgeschafft wurde, sondern sich wandelte im Bezug auf das, was nach „seinesgleichen“ sucht, wie natürlich auch auf das, was jenes „seinesgleichen“ davon abgeleitet, darstellt. Das hieße erst einmal, dass mit dem Volksstaat eine Verschiebung von einer Klassensolidarität hinzu einer Art der Solidarität, die entlang von Religion, Hautfarbe, „Rasse“ oder völkischen Kategorien das „seinesgleichen“ sucht. Auch das deutete Horkheimer mit einem Verweis auf „völkische Terroristen“ an. Die Verschiebung in den Formen der Solidarität zeigt sich darin, dass Polen auch zigtausend Flüchtlinge aus der Ukraine aufnahm, die AfD die Bereitschaft bis den Willen – und dies mag wie ihre streckenweise Verteidigung Israels instrumentell oder ideologisch sein oder nicht – zumindest verkündet, arabische Christen aufzunehmen, Bangladesch Rohingya aufnimmt, etc pp. Es steht außer Frage, dass diese nachbürgerliche – teilweise an vorbürgerliche Gruppendefinitionen anknüpfende - neue Form der Solidarität eine mehr als fragwürdige Entwicklung darstellt. Sie steht aber mit dem Asyl und dem Asylrecht nur bedingt im Widerspruch.
Daran wäre auch die Redaktion der Polemos zu erinnern, die in ihrer „Kritik des Asylrechts“ schrieb: „„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ heißt es in §16a des Grundgesetzes – ein Grundrecht zum Genießen, auf so etwas muss man erstmal kommen.“[13] Das ist erst einmal eine völlig richtige Beobachtung, da man nicht Grundrechte, sondern Privilegien genießt. Man kann das auch durchaus skandalisieren, nur tut sich keinen Gefallen, wenn man die mangelnde Geltung registriert, aber dies nie mit der Genese des Rechts selbst konfrontiert.
„Ausgelöscht ist in der Formulierung, dass Grundrechte zumindest in ihrer bürgerlichen Idee eine Einschränkung staatlicher Verfügungsgewalt sind und keine staatlich gewährte Wohltat. […] Dass die Diskussion zur sogenannten Flüchtlingskrise vor allem um die Frage kreist, ob die Politik moralisch dazu verpflichtet ist, weiter Flüchtlinge aufzunehmen oder nicht, macht deutlich, dass auch die Wohlmeinenden das Asyl als ein Grundrecht – also als ein der Diskussion gerade enthobener rechtlicher Anspruch – verabschiedet haben. Nicht nur aus „humanitären“ Gründen gegenüber Flüchtlingen, sondern auch weil die politischen Freiheiten hierzulande, die Sicherheit und Unversehrtheit, ja das Leben nicht minder von der Geltung von Grundrechten abhängen, sollte die Leichtigkeit mit der 1993 das Grundrecht auf Asyl suspendiert wurde und die Selbstverständlichkeit, es heute als eine moralische Angelegenheit der Politik zu verhandeln, das Fürchten lehren.“[14]
Tatsächlich hätte man doch, wenn man das Asylrecht als Grundrecht behandelt und ersteres dabei mit der „bürgerlichen Idee“ von Grundrechten konfrontiert, zu fragen, seit wann es wo das Grundrecht auf Asyl überhaupt gab. Die Französische 1793er Verfassung führte das Asylrecht im nahezu letzten Artikel: „Es gewährt Ausländern, die um der Sache der Freiheit willen aus ihrem Vaterland vertrieben wurden, Zuflucht. Sie verweigert sie den Tyrannen.“ (Art. 120.) als Teil des Passus „Von den Beziehungen der Französischen Republik zu fremden Nationen“, und somit wahrlich nicht als Grundrecht. So ließe sich die „Erkenntnis“ der Polemos auch umkehren in die Erkenntnis, dass das Grundrecht auf Asyl im GG bewusstlos schon als Privileg, das man nämlich tatsächlich genießt, verfasst wurde; etwas das in der Diskussion zur Zeit der Abfassung sehr wohl bewusst war und debattiert wurde. Man hätte in diesem Zuge auf den Gedanken kommen können, dass das Asylrecht als völlig universelles nicht nur keinen Grund mehr hat, sondern vor 1948 nie besaß. Dabei wäre darüber zu reden, dass die DDR schon 1968 die Kann-Formulierung einführte, und ferner über die Streichung des Asylrechts als Grundrecht seit einiger bis langer Zeit debattiert wird, und die lieben Genossen der Polemos nicht ganz zu bemerken scheinen, dass sie, wenn sie betonen, „dass Grundrechte zumindest in ihrer bürgerlichen Idee eine Einschränkung staatlicher Verfügungsgewalt sind und keine staatlich gewährte Wohltat“, damit gleichzeitig sagen, dass der Staat nicht die geringste Verpflichtung hat, für Unterkunft und Verpflegung der Flüchtlinge aufzukommen. Man darf sich wohl unsicher sein, ob das in ihrem Interesse ist. An genau diese „Wohltat“ aber knüpften sich schon 1948 die Bedenken. Ein Vorschlag – neben jenem, dass es nur für Deutsche gelte - war, dass das Asylrecht für „Ausländer“ gelten möge, „welche wegen ihres Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden politisch verfolgt werden“; betonte also eine qualitative Einschränkung, die vor allem auch durch Kostenbedenken motiviert war. Die Genfer Flüchtlingskonvention sah ursprünglichen den Status der Flüchtlinge daran geknüpft, dass die Flucht vor 1951 erfolgt oder verursacht worden sei, und galt nur für Europa. Die Geschichte des Asylrechts zeigt völlig offen, dass das Asylrecht im Allgemeinen eher ein Mosaik aus Reaktionen auf globale Veränderungen darstellt, das sich mal ausweitet mal einschränkt.
Nun wäre zu bemerken, dass Riedel mit Bezug auf einen Humanismus, von dem niemand außer ihm zu wissen scheint, was dieser beinhalte, versucht, sich nicht nur gegen diesen Wandel, sondern gegen die Herkunft des Asylrechts zu werfen. Das mag löblich wirken; aber in der Verweigerung sich mit den banalsten Problemen auseinanderzusetzen, wird die ganze Chose tatsächlich etwas wirr. Man nehme sein Texas-Beispiel, mit dem er vermutlich beweisen wollte, zu welch utopischem Denken er fähig ist, das er aber gleichzeitig mit einer Aura oder Weihe des faktisch-möglichen versieht, das sich nicht darum kümmern muss, dass in diesen absurden Raumvorstellungen, die sich nur um eine Bevölkerungsdichte schert, gerade am Beispiel Texas die Fragen nach Wasser, Nahrung oder ähnlichem gar nicht aufkommen. Man muss das nicht durchspielen. Nun ist es sein belegendes Beispiel, nicht meines, das aber zeigt, wie eindimensional die von ihm aufgebrachte Konstruktion der Aufnahmefähigkeit verläuft.
So sehr Riedel richtiger Weise betont, dass „zur flüchtlingsfeindlichen Ideologie die Suggestion [gehöre], dass demnächst »Alle« kommen würden“,[15] macht er sich trotzdem zu einfach, wenn er fortfährt: „In diesem entgrenzten Maximalismus verschleiert sich der entgegengesetzte Wunsch: Dass eigentlich gar keine kommen sollen.“ Damit ist nicht einmal gesagt, dass dies nicht für einige bis viele Positionen zutrifft, und die Debatte ist in der Tat immer wieder auf die reell bestehenden Zahlen zurückzuverweisen. Nur ändert dies nichts an der Tatsache, dass das Recht auf Asyl als Grundrecht – faktisch eines auf Vorbehalt ist und seit 1949 gewesen sein dürfte, das von der Entwicklung dieser Zahlen mehr abhängt als von irgendeiner anderen Begründung oder irgendeinem anderen Faktor; weshalb es in den 90ern eingeschränkt wurde, und vermutlich in nicht allzu ferner Zukunft abgeschafft werden wird. Dublin war neben der Einschränkung vor allem eine geographische Verschiebung einer Illusion. Ist man ganz ehrlich, müsste man gestehen: Es handelte sich um einen idealistisch-ideologischen Luxus, den man solange aufrechterhielt, wie die Realität nicht mit ihm in Konflikt geriet. Selbstverständlich klingt dies eiskalt, nur muss ein Recht, und gerade ein Grundrecht, für alle gleich gelten.
Nun fordert Riedel die aktive Aufnahme von 15 Millionen Flüchtlingen; eine Zahl, die er zum einen über einen Prozentsatz in Bezug auf die Aufnahmefähigkeit der EU und gleichzeitig über einen Prozentsatz in Bezug auf die globalen Flüchtlingszahlen ermittelte: „Die 15 Millionen sind 3 Prozent der EU-Bevölkerung und 2 Prozent der europäischen. So kam ich einmal darauf. Zugleich sind 15 Millionen 25 % der weltweiten Fluchtbewegung.“ Grundlegend schwierig wird es schon von einer „Unter- oder Obergrenze“ im Stile Riedels zu sprechen, wenn man nicht einmal weiß, von welcher Variabel diese abhängig ist.
X (entspricht EU-Bevölkerung); und dabei wieviel man aufnehmen könne
y (entspricht weltweite Fluchtbewegung), wieviel man aufnehmen müsse
Riedels harmonischen Gleichung lautet 3% von x = 15 Mio. = 25% von y;
die aber leider keine lösbare Gleichung darstellt, sofern mich nicht alles täuscht.
Auch hier: diese Zahlen kommen nicht von mir. Aber: Ich denke im Allgemeinen nicht, dass man sich über solche Vorschläge lustig machen sollte. Man könnte, wenn es ein ernstgemeinter Vorschlag wäre, darüber reden, ob und vor allem wie man 15 Millionen Flüchtlinge in Europa aufnehmen könnte, man könnte Kosten und notwendigen Stellen kalkulieren, könnte eventuell notwendige Kürzungen oder Steuerhöhungen kalkulieren und versuchen, diese zu vermitteln, indem man darauf hinweist, dass es Leben rettet. Nur bleibt die Frage: was dann? Inwieweit handelt es sich dabei also nicht „nur“ um eine quantitative Verschiebung der Schuld, die kurzfristig das Gewissen beruhigt? Verdoppelt sich die weltweite Fluchtbewegung, müsste man 30 Millionen aufnehmen, was plötzlich eher 6% der EU-Bevölkerung entspräche; oder man bleibt bei den 3% und reduziert die Aufnahme auf 12,5 %. So bleiben die Zahlenbeispiele vorgeschobener Pseudorealismus – und dabei verflucht spezifisch -, der nur verdecken soll, dass man kapituliert; und das letzte ist kein Vorwurf, zumindest keiner, der nicht im selben Maße auf mich selbst zuträfe.
So richtig es sein mag, dass momentan eine bestimmte und potenziell sogar bestimmbare Anzahl von Menschen kommen will und wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß oder es sogar absehbar, dass sich dies in der nächsten Zeit ändern wird. Dies betonte zum einen Wolfram Eilenberger: „Angesichts der schieren Anzahl von bereits heute konkret Wanderungswilligen wird der Unterscheidung zwischen Kriegs-, Wirtschafts- oder Klimaflüchtlingen in den kommenden Dekaden allenfalls noch akademischer Wert zukommen.“[16] Und zum anderen der Chef des BND, Bruno Kahl , der 2017 betonte: „Weit über eine Milliarde Menschen werden künftig einen rationalen Migrationsgrund haben.“[17] Die Welt berichtet mit Bezug auf eine PEW-Studie von Fluchtbegehren und Plänen, die in einigen Ländern der Subsahara im zweistelligen, teilweise mittleren zweistelligen Prozentbereich liegen.[18] In diesem Sinne könnte man sagen, dass die Panik der Europäer ihren „rationalen“ Grund darin hat, dass jene Zahlen auf ein Recht treffen, das dafür prinzipiell nie gedacht war.
Betrachtet man nun Europa als Sozialstaat der Welt, und zwar mit einigem Recht und nicht allzu schwer begründbar, kann man nicht davon abstrahieren, dass in der Regel ein Sozialstaat in tatsächlichen Krisen kollabiert, also in dem Moment, wo er am Dringendsten benötigt wird. Dies wäre das zweite Grundrecht, das auf Vorbehalt vergeben ist – da es dem Prinzip der Grundrechte, wie von der Redaktion Polemos angemerkt, nämlich keine Wohltat des Staates zu sein, prinzipiell widerspricht. Dass beispielsweise Österreich in vorauseilendem Gehorsam diesen massiv attackiert, zeigt eine Richtung, auf die wir uns alle gefasst machen sollten. Man kann den Fakt einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“, so sehr dies ein politisches Schlagwort der Rechten ist, nicht ignorieren. Andernfalls ignoriert man, dass es Überlegungen gibt, eine „Mauer um den Sozialstaat“ zu bauen, was in dem Fall hieße, Flüchtlingen und Einwanderern den Zugang zu Sozialleistungen zu erschweren oder (begrenzt) zu verunmöglichen, die Einwanderung aber (weiter) zu gestatten. Ferner steht die Abschaffung des Mindestlohnes im Allgemeinen oder „nur“ für Flüchtlinge zur Debatte. Letzteres wäre nahezu ein Aufruf zum Rassismus.
Riedel aber, moralisch deutlich höherstehend, fragt:
„Wie viele seid ihr bereit, durch Abschottung zu töten? 200,000? 2 Millionen? 20 Millionen? 200 Millionen? Wann ist es genug und ihr lasst Leute rein? Also wirklich nennenswerte Anzahlen, die dem Zustand der Welt Rechnung tragen und nicht nur ein paar zehntausend, denen man dann das Leben lang noch Dankbarkeit abnötigt? Was ist das für ein Konzept, das ihr da habt?“
Es ist durchaus interessant, wieviel Macht Leute zugesprochen bekommen, wenn es darum geht, Verantwortungen und Schuld zu verteilen, und wie sehr man sich der einfachen Erkenntnis versperren kann, dass das einzige, was dem Zustand der Welt Rechnung trüge, höchstens die Veränderung des Zustandes der Welt wäre.
In ähnlichen Worten wie Riedel hat sich auch Mely Kiyak geäußert: „Wir müssen sämtliche Politiker massiv zwingen und unter kolossaler Anstrengung dazu nötigen, die genaue Anzahl von Menschen zu definieren, die sie künftig nicht mehr über die Grenze reinlassen wollen. Sie sollen die genaue Anzahl der Toten benennen, die sie bereit sind, in Kauf zu nehmen. Sie sollen sich nicht mehr hinter der Anzahl der Geretteten verstecken, sondern geradestehen, für die Anzahl der Getöteten, Versehrten, Alleingelassenen.“[19]
Sie fuhr fort: „Wir haben uns entschlossen, Grenzen zu schützen und nicht Menschen. Flüchtlingszahlen verringern und Grenzen schließen heißt, Menschen die Menschenrechte nicht zu gewähren. Menschenrechte eben nicht als universell zu betrachten, im Sinne: gültig für alle Menschen und durch alle Zeiten hindurch.“ Und solche Sätze wirken tatsächlich, als hätte Arendt nie über die „Aporien der Menschenrechte“ geschrieben; als wären die Menschenrechte als konkrete nicht im Großteil der Welt völlig offensiv außer Kraft gesetzt, woran auch der Westen partizipiert. Deutlich wird bei Kiyak aber besser noch als bei Riedel, wie die Forderung nach sprachlicher Klarheit genau diese wiederum verrät, wenn sie schreibt: „Wir schützen nicht die Außengrenzen, wenn wir in Bulgarien oder anderswo an der Peripherie der Europäischen Union Maschendrahtanlagen bauen, sondern wir weisen Menschen ab, die auf der Flucht sind.“ Als wäre dies ein Gegensatz, als wäre nicht das einzig wahre, zu schreiben: „Wir schützen die Außengrenzen, indem wir Menschen abweisen, die auf der Flucht sind.“ Was bei Riedel wie Kiyak aber gleichermaßen sich vollzieht, ist die Verschiebung von einer Mitschuld zur Schuld, in der Hoffnung, dass dies diskursiv Leute zum Handeln animiere. Das aber entzieht – bei aller tatsächlichen Fragwürdigkeit, die mit der Phrase „Fluchtursachen bekämpfen“ verbunden ist – jene Fluchtursachen wirklich der Diskussion.
Statt eines ernsthaften „Konzeptes“ kann ich nur eine Prognose anbieten – und bei solchen sollte man immer skeptisch sein. Diese besagte, dass es grauenhaft werden wird; und noch einmal: das ist eine Prognose, keine Empfehlung oder ähnliches.
Ich vermute und befürchte, dass im Falle von in den kommenden Jahren steigenden Flüchtlingszahlen, und sofern die europäischen Länder ihre Sozialpolitik bzw. deren Schein sowie ihre Souveränität im Ansatz beibehalten wollen,[20] das Asylrecht abgeschafft werden wird; dass Europa mehr Diktaturen als bisher unterstützen wird, damit diese Flüchtlinge festhalten, womit sich Europa noch mehr als bisher in Abhängigkeit von diesen begeben wird, dass Flüchtlinge somit zu einem der politischen/diplomatischen Mittel schlechthin werden, und dass makabererweise jegliche Intervention in irgendeinem Schurkenstaat dadurch noch mehr der Riegel vorgeschoben wird, als es der bisherige eigene Appeasement-Pazifismus tat.[21] Staaten wie oder vor allem China werden davon doppelt profitieren, da sie zunehmend die afrikanischen Ressourcen ausbeuten, die Opfer jener chinesisch-westlichen Ausbeutung aber – solange Europa sich noch moralisch halbwegs zur Aufnahme verpflichtet fühlen muss – nach Europa „schickt“. Die Aufnahme aber dürfte eher in Richtung Lotterie tendieren, sich dabei vielleicht auf sehr enge Kategorien festlegen. Das ist alles nicht ganz neu, wird aber vermutlich im Grade dermaßen zunehmen, dass sich auch ein qualitativer Umschlag abzeichnet/abzeichnen wird. Ich halte es ferner für realistisch bis wahrscheinlich, dass die Grenzen Europas massiv militarisiert und im selben Zuge erweitert werden, so dass das Sterben außerhalb der Sichtweite abläuft; sowie dass Europa unter der Prämisse, dass die europäischen Länder in ihrer jetzigen Form weiterzubestehen gedenken – und es gibt meines Erachtens wenig Aussicht darauf, dass diesbezügliche eine im guten Sinne progressive Alternative überhaupt im Raum stände -, derart viele Tote an der Grenze in Kauf nehmen wird, bis es für von Krieg und Verfolgung Betroffene „ungefährlicher“ ist, sich gegen diese Verfolgung irgendwie zur Wehr zu setzen, also bis es „ungefährlicher“ ist, genau das zu tun, was heute schon den Flüchtlingen von Unsympathen entgegengeworfen wird: nämlich vor Ort kämpfen. Das Einzige, was sich Europa eventuell abpressen lassen wird, dürften massiv gesteigerte Geldzahlungen, Sachleistungen und ähnliches im Rahmen einer ausgeweiteten oder umstrukturierten Entwicklungshilfe sein. Ich denke auch, dass es eine schwache bis trügerische Hoffnung ist, darauf zu setzen, dass sich die Europäer durch steigende Zahlen der Flüchtlinge und der Toten erweichen lassen werden, vielmehr dürfte mehr Europäer die Notwendigkeit der Abschottung in Bezug auf sich und ihre soziale Situation selbst erkennen oder beides miteinander verknüpfen.
Was ich unumwunden zugebe, ist, dass ich bisher keine Antwort auf die Situation wie Reaktion habe oder hätte, sowie, dass das durchaus zum Verzweifeln ist, nur werde ich keinem Menschen ins Wort fallen, der meint, dass ein Satz wie „Aufnahme von zwei Milliarden […] kein Problem“ ihn nicht überzeugt, und vielleicht in der Naivität sogar Angst auslöst. Ich würde also behaupten, dass Riedel auch keine Antwort hat, die über eine schuldverlagernde Abschöpfung der Spitze des Weltelends hinausweist.
Was man tun kann, ist meines Erachtens bisherige Fehler kritisieren, um zu versuchen, gewisse Entwicklungen zu verstehen. Tatsächlich bin ich der Ansicht, dass jene, die laut den „Studien zum autoritären Charakter“ ein Oberflächenressentiment pflegen, mit Argumenten hätten überzeugt werden müssen, die sich auf den rationalen, heißt materiellen Gehalt ihres Ressentiments fokussieren. Das hat die Politik wie die Medien über weite Strecken versäumt, wovon wiederum die AfD massiv profitierte – das legen jedenfalls die Zahlen über AfD-Wähler und deren Einstellungen nahe; während die NPD für diese Situation ein paar Jahre zuvor noch einen politischen feuchten Traum bedeutet hätte, die Flüchtlingskrise überhaupt nicht nutzen konnte. Die SPD bekommt nun durch jenes Ressentiment potenziert ihre Rechnung für die Agenda 2010. Wenn Wagenknecht eine „linke Sammlungsbewegung“ fordert, drückt sie damit nur unbeholfen die Ahnung aus, dass die die CDU mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit die einzige „linke“ Partei über 15 Prozent sein könnte, die als einzigen ernsthaften Konterpart, und das heißt in Deutschland als einzigen möglichen Koalitionspartner, die AfD haben würde.
Dazu gehört hätte ferner, so platt es sich anhört, die Verteidigung westlicher Werte, und darunter durchaus eine Flucht nach vorn insbesondere in Bezug auf die Frage der Religion. Meines Erachtens wäre laizistisch bis im Zweifelsfall bewusst vulgäratheistisch zu argumentieren, dass im westlichen Widerstand gegen den Islam aufgrund der Gleichheit auch der Religionen vor dem Gesetz, die Rolle der Religion im Allgemeinen beschnitten werden muss, ohne dass man damit einen auch nur im Ansatz – also über das abstrakte Recht hinausreichende – Gleichwertigkeit jener Religionen behaupten würde.
Das wiederum müsste keineswegs bedeuten, dass man sich nicht im selben Moment zur christlichen Tradition insofern beziehen kann, dass man beispielsweise die religiös motivierten, aber über weite Strecken säkularisierten Feiertage bestärkt. In diesem Sinne wäre ich also in der Tendenz anderer Ansicht als beispielsweise Thomas Maul sie in seinem Artikel in der aktuellen Bahamas vertritt;[22] jedoch nur in Hinsicht der ganz pragmatischen Umsetzung nicht im Urteil selbst; und genau so wäre es auch zu kommunizieren: dass der Islam den Westen dazu zwingt, andere Religionen besseren Wissens zum Trotz wie ihn zu behandeln.[23] Natürlich braucht es auch einen Aufenthaltsstatus und Zuwendungen für Zwangsverheiratete und Kinder, die in einer Kinderehe gefangen sind bei radikalem Verbot und ebensolcher Annullierung jener Eheformen. Ferner wäre unter Umständen der Aufenthalt auch lokal derart zu klären, dass der Bildung bzw. Beibehaltung von Clanstrukturen vorgebeugt wird. Das sind über weite Strecken autoritäre Maßnahmen, die lange unterlassen wurden und in vielen Fällen noch werden; aber für Riedel sind auch diese vermutlich nur die Symptome der „Verlockung, die der vom Notstand angeblich erzwungene „Schmutz“, also das Bündnis mit der gewalttätigen Autorität, ausübt. Nicht Angst, sondern Lust liegt solchen Äußerungen zugrunde.“
Ein wenig ironisch ist es aber wie jemand, der betont, „Es befremdet mich, Basisbestände humanistischen Denkens 2018 noch diskutieren zu müssen mit Leuten, die Marx gelesen haben. Es hält mich von der Arbeit für die Aufklärung und Israel ab“,[24] auf leise Zweifel nur einwenden kann, ihm sei „die deutsche Wirtschaft scheißegal. Ich gehe davon aus, dass sie selbst von 8 Millionen Immigranten binnen zwei Jahren irgendwie profitieren würde und dass die Investition in die "Flüchtlingsindustrie" ein ähnliches Konjunkturprogramm wäre wie die Abwrackprämie oder ähnliche Maßnahmen. Aber es ist mir scheißegal. Aber es ist mir scheißegal. Man HAT Flüchtlinge aufzunehmen oder sich offen zur Tötungsabsicht zu bekennen. Eine andere Wahl gibt es nicht und jeder Rationalisierung der Letzteren ist ihre Konsequenz vor Augen zu führen“, wobei die Rationalisierung des Ersteren sich wie folgt gestaltet:
„Drei Jahre Deutschkurs (bei Kindern reichen oft 1-2 Jahre) und die meisten Menschen funktionieren. Es ist eine Lüge, dass alles nicht klappen würde. Fakt ist: Mit den Deutschen hapert alles. Teure Schule, Elite-Uni, und trotzdem wählt Sachsen mehrheitlich AFD und Bayern CSU. Wie soll da Integration in die Weltgesellschaft aussehen?“
Nun bringt ein Deutschkurs im Gegensatz zu einem Englischkurs wenig für die Integration in die Weltgesellschaft, genauso wenig wie eine Elite-Uni für die Mehrheit der Sachsen der Ort der Ausbildung sein dürfte – was in dem Begriff der „Elite“ doch eigentlich ausgeplaudert wäre. Damit ist nicht gesagt, dass es nicht wirklich vor allem auch mit den Deutschen hapert, womit sie wiederum der beste Beweis wären, dass man mit der deutschen Sprache – sofern man den Sachsen zugesteht, diese zu sprechen – wahrlich nicht automatisch westliche Werte aufnimmt, oder „funktioniert“, was immer das auch heißen soll.
3.
Der allerbeste Ausweg aus dem Dilemma aber ist, wenn einem die „deutsche Wirtschaft scheißegal“ sein kann, weil man ganz gute Aussichten hat in der „Flüchtlingsindustrie“ unterzukommen:
„Ein Land, das für eine Abwrackprämie fahrtüchtige Autos verschrottet und Restaurants hervorbringt, in denen Wettessen um 30 cm Riesenburger stattfinden, ein Land, in dem man kein Tempolimit und trotzdem eine der niedrigsten Unfallquoten hat, ein Land, das sich Multimilliardäre wie Aldi-Brüder leistet, ein Land, das vor allem permanent über den Bedarf an Nachwuchs und Billigarbeitern und Erntehelfern jammert, so ein Land kann ohne Probleme 15 Mio. Menschen vertragen. Dann werden eben ein paar mehr Leute Sozialarbeiter oder Islamismusexperten anstatt Profiler oder Akademiker, die niemand braucht.“[25]
Besser kann man den Klassencharakter des Engagements Riedels einfach nicht beschreiben. Mit jenem langen Satz erweist er sich als mustergültiger Vertreter jener Mittelklasse, die die Aldi-Brüder, die meines Erachtens beide schon tot sind, trotzdem am liebsten an der Laterne baumeln sähe, und für die Flüchtlinge in der Feldarbeit bestens aufgehoben wären. Daraus ist auch das Verhältnis von „vertragen“ und „brauchen“ zu erweisen, wenn plötzlich nämlich die Jobs mit ins Spiel kommen, die die Flüchtlinge abwerfen. Riedel dürfte sich in der Potenz zur ersten Gruppe zählen. Heißt, er will endlich gebraucht werden, denn bisher gehört er zur zweiten Gruppe der „Akademiker, die niemand braucht“ – was kein Vorwurf ist, solange man sich davon nicht verrückt machen lässt. Praktisch ist an der ganzen Konstellation nur, dass Riedel nicht durch die Konkurrenz im Bereich des Niedriglohnsektor, der Schwarzarbeit etc pp. betroffen sein wird, sonst wüsste er auch, dass man Wohnungen nicht „herstellt“. Wahrscheinlicher ist schon, dass er durch die Flüchtlinge eine recht verlässliche Tätigkeit erhielte, die ihn vom Sozialstaat emanzipieren würde, weshalb er sich um ihn auch keine Gedanken machen muss. Die Emanzipation Riedels vom Sozialstaat wäre also kaum betroffen von einer allgemeinen und möglichen Emanzipation vom Sozialstaat.
Auf jenen Klassencharakter der Moral deuten letztlich sogar gewisse Untersuchungen. In einer Studie[26], in der die Schulbildung im Verhältnis zu Bevölkerung insgesamt (1. Zahl), Engagement insgesamt (2. Zahl) und Engagement i.d. Flüchtlingshilfe (3. Zahl) betrachtet wurde, folgen diese Zahlen:
einfache: 36%, 31% und 20%;
mittlere: 31%, 31%, und 23%
sowie höhere: 33%, 38% und 57%.
Die Autoren fassen zusammen: „Deutliche Unterschiede zur Bevölkerungsstruktur ergeben sich allein bei der Schichtzugehörigkeit der aktiv Engagierten in der Flüchtlingshilfe“ und betonen das „überproportionale Engagement der höher gebildeten Bürgerinnen und Bürger“. Gleichzeitig heißt es hingegen über die Sorgen: „• Am meisten verbreitet sind Sorgen, die sich auf wachsenden Extremismus, mangelnde Integrationsmöglichkeiten und finanzielle Schlechterstellung der Einheimischen beziehen. • Die Befragten, die Sorgen äußern, sind – bis auf wenige Ausnahmen – älter und formal weniger gebildet als der Durchschnitt.“
Als würde Riedel diesen Charakter ahnen, macht er sich an eine pathische Verteidigung der Flüchtlingshelfer, die sich spalten in „bürgerliche Profiteure, die ihre Wohnungen an den Mann schlagen konnten,“ und „Leute wie ich, die einfach unabhängig von ihrer ideologischen Prägung das verinnerlicht haben, was Adorno als moralischen Imperativ einfordert: Einem Flüchtling an der Tür nicht den Weg zu weisen unter dem Vorwand notwendiger Reflexion.“ Die Verteidigung gilt natürlich nur der zweiten Gruppe, die sich nie als (potenzielle) Profiteure sehen würde, und sei es in psychischer Hinsicht, und erwähnt natürlich auch mit keinem Wort, dass Adorno explizit vom „politischen Flüchtling“ schrieb.
Was Studien nun wiederum über die Motivation sagen, wäre unter anderem: „Über 90 Prozent geben an, dass sie mit ihrem Engagement ein „Zeichen gegen Rassismus” setzen sowie zeigen wollen, dass es „neben rechter Stimmungsmache und Gewalt auch eine Willkommenskultur gibt”, wobei die Zustimmung zu diesen Aussagen mit dem Alter leicht ansteigt.“ Ferner: „Ganze 94,3 Prozent nennen zudem als Motivation, dabei neues über die Welt und andere Kulturen zu lernen.“[27]
In einer anderen Studie,[28] in der unter anderem nach positiven Aspekten gefragt, welche für Helfer die Aufnahme von Flüchtlingen mit sich bringen würde, wobei die Hilfe in existentieller Not mit Abstand an höchster Stelle steht – findet man
56,7%, die der Ansicht sind: „Darin liegt auch die Chance, Neues und Bereicherndes für den eigenen Alltag zu entdecken.“
61,4%, die meinen: „Diese Menschen bereichern Deutschland auch kulturell.“
69,1%, welche vermerken: „Deutschland gewinnt damit an Ansehen in der Welt.“[29]
Man kann das alles als Offenheit abtun, oder aber man erinnert sich an die „Studien zum autoritären Charakter“, welche deutlich machten, dass zahlreiche Typen der Vorurteilsfreien wahrlich nicht die verlässlichsten Charaktere im Widerstand gegen autoritäre Vorgänge sind. Ohne, dass man all jenen niedere Motive unterstellt, wäre man trotzdem vorsichtiger; insbesondere, wenn man sich anschaut, auf welche Ideologieproduktion jene mit Vorsicht zu genießende „Offenheit“ trifft.
Nur zwei Beispiele: Der Rat für Migration (RfM) empfiehlt das Buch von Werner Schiffauer, Anne Eilert, Marlene Rudloff (Hg.) „So schaffen wir das – eine Zivilgesellschaft im Aufbruch 90 wegweisende Projekte mit Geflüchteten“,[30] Darin gelten als wegweisende Projekte auch „Projekte und Initiativen von islamischen Gemeinden und Organisationen“:
„Die Geflüchtetenarbeit der islamischen Gemeinden und Organisationen in Deutschland baut auf Strukturen und Netzwerken auf, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Sie stützt sich auf die engen kulturellen, ethnischen und biografischen Bindungen von Migrant_innen und Geflüchteten zu den hiesigen islamischen Gemeinschaften. Seit 2015 sind von den Gemeinden vielfältige neue Hilfsinitiativen für Geflüchtete ausgegangen. Sieben herausragende zivilgesellschaftliche Initiativen von islamischen Akteur_innen werden im folgenden Kapitel vorgestellt. Sie verweisen auf zwei besondere Stärken ihres Profils: Zum einen haben viele der ehrenamtlich aktiven Muslim_innen Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenzen, die einen persönlichen Zugang zu Geflüchteten mit ähnlichen Hintergründen möglich machen. Für muslimische Geflüchtete kann die gemeinsame Religion es außerdem erleichtern, einen Bezug und ein Vertrauensverhältnis zu den Menschen in der neuen Umgebung aufzubauen. Zum anderen kennen die deutschen Muslim_innen die Funktionsweise, Besonderheiten und Schwierigkeiten des Lebens in Deutschland. Ihre zweite Stärke ist also, Brücken zu bauen und Kontaktpunkte zwischen den Alteingesessenen und den Neuankommenden herzustellen.“ (S. 317)
Aufgeführt und beworben ist dann die „Neuköllner Begegnungsstätte“ – bzw. Dar-as-Salam-Moschee - , an deren Türe Abdel-Hakim Ourghi seine These schlug bzw. klebte. Zum Imam ließe sich einiges herausfinden[31], über den es im Buch heißt: „Auch mit den Themen Scheidung, Vermittlung und Versöhnung zwischen Eheleuten befasste sich der Imam intensiv.“ (S. 323) – Zumindest Felix Riedel dürfte eine Ahnung davon haben, was dies in der Übersetzung in die Realität bedeutet.
Ein weiteres Beispiel ist Salam e.V., die Seelsorge als kultursensible Traumatherapie verkaufen: „In unserer Gesellschaft besteht der Bedarf nach Seelsorgern, die den Islam nicht nur von außen betrachten, sondern auch selbst innerhalb dieser Religion leben. So erst werden ein ausreichendes Verstehen des Gegenübers sowie genügend Sensibilität möglich. Ein muslimischer Seelsorger sollte zum einen ausreichend Kenntnisse der islamischen Religion besitzen und diese in konkreten Situationen anwenden können. Andererseits ist es aber auch wichtig, die Werte-Basis der Betroffenen innerlich zu verstehen und die Situation aus den Augen des Betroffenen „sehen" zu können.“[32] Genau gegen diese Vorstellung hielt Tjark Kunstreich einen Vortrag, dessen Text in der aktuellen Bahamas erschien, der ihm – wen überrascht es noch – sogleich Störungsankündigungen und das ganze Programm der Rassismusvorwürfe einbrachte.[33]
Lobenswert sei der Inssan e.V. und weiter bewirbt man „das Projekt Strukturaufbau und Unterstützung von Ehrenamtlichen in den Moscheegemeinden für die Flüchtlingshilfe durch die Verbände der Deutschen Islam Konferenz, Kurztitel: Moscheen fördern Flüchtlinge“, und vermerkt kurz angebunden: „Das Projekt wird von der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) getragen.“
Derselbe Rat für Migration bewirbt die Studie „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“ von Riem Spielhaus und Nina Mühe, in deren Einleitung es schon heißt:
„Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 setzte dem spirituell äußerst vielfältigen Leben in der Reichshauptstadt ein jähes Ende. Auch vom Judentum zum Islam Konvertierte – aus Sicht der islamischen Gemeinde schlicht Muslim*innen – fielen unter die nationalsozialistischen Rassengesetze und waren der Verfolgung ausgesetzt. Die Geschichte der islamischen Vereine in Deutschland zu dieser Zeit ist zwar noch wenig erforscht, aber so viel immerhin ist nachvollziehbar: Einige islamische Vereine wie das Islam-Institut Berlin wurden aufgelöst und Publikationen wie die „Moslemische Revue“, eine Zeitschrift der Ahmadiyya-Bewegung, eingestellt.“
Daran ist nicht alles falsch, sondern nur das meiste, und auch das eher als Suggestion. Erst einmal ist die Geschichte nicht im Ansatz so schlecht erforscht, wie behauptet; sie passt nur nicht so gut in die spielhausche Diskursklauberei. Die Moslemische Revue wurde wirklich eingestellt, jedoch erst 1940 und nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus Papiermangel und mangelnden Abonnentenzahlen, wie man der letzten Ausgabe selbst schon entnehmen könnte, würde man einmal hereinschauen. Vorher erschienen in ihr so illustre Artikel wie „Hitler ist der berufene Mann”. 1939 wurde von ihrem Herausgeber die erste muslimische Koranübersetzung angefertigt. Auch wurde das Islam-Institut Berlin nicht aufgelöst, sondern zerstritt sich aufgrund finanzieller Querelen intern, was sogar zu einem Gerichtsprozess führte, woraufhin zwei neue Institutionen entstanden. 1939 wird das Islam Institut (Ma’ahad-ul-Islam) zu Berlin e.V. als Abspaltung gegründet, 1941 das „Islamische Zentral-Institut zu Berlin e.V.“, welches der direkte Nachfolger des angeblich von den Nazis geschlossenen Islam-Instituts, demnach eher eine Umbenennung war. [34] Wirklich geschlossen wurde das Islamische Zentral-Institut zu Berlin e.V. von den Alliierten, und erst 1962 unter dem Namen „ Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland Stiftung e.V.“ neugegründet. Während aber selbst der Direktor dieses neuen Instituts, Salim Abdullah, ganz unmissverständlich zugab: „Die große Mehrheit der in- und ausländischen Moslems, die in den dreißiger Jahren in Deutschland lebten, sympathisierte mehr oder weniger offen mit dem Nationalsozialismus“, modeln die Verfasserinnen der Studie suggestiv die Muslime zu Opfern des NS, eigentlich wären sie damals schon die Juden gewesen, als die sie sich heute erwiesen. „Was die Ahmadiyya-Bewegung betrifft, so machte der Zweite Weltkrieg die Berliner Missionsarbeit zunichte, wie die Islamforscherin Gerdien Jonker in ihrer historischen Arbeit zeigt. Die Gemeinde löste sich auf“, heißt es in der Einleitung weiter. In der Tat hatte sie sich „aufgelöst“, indem ihr harter Kern an der Front für Deutschland gestorben war,[35] und in diesem Sinne wäre auch der Satz zu lesen: „Einige Muslim*innen überlebten den Zweiten Weltkrieg in Berlin.“
Die Melange aus einer solchen ideologischen Aufrüstung einer vom Berliner Senat finanzierten und von diesem wie dem Rat für Migration beworbenen Studie von Riem Spielhaus und der völlig der Kritik entzogenen Motive der Helfer ist so ziemlich genau das, was einige in der Tat als kritikwürdig betrachten.[36] Und ja, dabei kann durchaus der ideelle Gesamtflüchtlingshelfer kritisiert werden, der sich über neue Kulturen und/oder berufliche Perspektiven freut. Ersteres birgt die immense Gefahr der enttäuschten Gegenbewegung[37] und Letzteres ist der Grund, aus dem Pohrt völlig zurecht vor Gesellschaftskritikern warnte, da diese immer Angst hätten, das Einzige mit dem sie sich je beschäftigt haben, zu verlieren; weshalb hauptberufliche Islamismusexperten natürlich auch kein Interesse daran haben können, dass das, was ihnen die Brötchen auf den Tisch bringt, wirklich einmal aus der Welt verschwinden könnte. In genau diesem Sinne hat ein wahnsinnig widerlicher und mit Sicherheit genauso widerlich gemeinte Kommentar unter einem Blogeintrag von Riedel, in dem er sich in einer Kritik Thomas Mauls für Asta-Gelder bewarb,[38] ein Moment von Wahrheit: „Such dir doch endlich eine Arbeit.“ Das gilt – das will ich gleich hinzufügen für alle, die immer noch denken, man könnte von Kritik leben.
4.
Das, was die Flüchtlingskrise in erster Linie bewies, ist, dass die EU als Projekt gescheitert ist, was in gewisser Weise traurig, jedoch vor allem absehbar war. Aber für Riedel scheint schließlich schon Souverän zu sein, wer bloß über die Subventionen entscheidet: „Wer aber dann die europäische Souveränität als gescheitert darstellt, hat offenbar noch nie einen landwirtschaftlichen Betrieb von innen gesehen. Die EU ist in weiten Teilen ein sehr wirksamer Apparat und große Teile der Produktionsketten sind von der Normierung, Subventionierung und Kanalisierung durch die EU abhängig.“ Ohne jetzt tatsächlich viele – nachkindliche – Einblicke in einen Bauernhof gehabt zu haben, meine ich doch, dass man, auch wenn diesen von Innen sieht, noch nicht sieht, wo das Geld herkommt. Darüber hinaus meine ich, dass Souveränität und Subventionen in einem arg abgeleiteten Verhältnis stehen. Was wiederum ein der „staatskritische“ Etatismus nicht wahrhaben kann, der Ruhe gäbe, bekäme er selbst Subventionen; wobei man schnell die Gewalt, auf der die Souveränität des Staates und Staatenbundes – beruht und die sie gleichzeitig ausmacht, nicht mehr als Bedingung der Souveränität betrachtet; Souveränität wird also auf den Kopf gestellt.
Aber Riedel braucht die Vorstellung eines europäischen Souveräns, um schreiben zu können: „Derzeit geben sich die Europäer aber alle Mühe, diese Kraft zu entfesseln. An ihren zivilisatorischen Errungenschaften nagt der tief in die Parteien eingewanderte blanke Faschismus. Europa treibt bereits Juden und kritische Intellektuelle ins Exil, Sinti und Roma sind zur Binnenflucht verdammt.“[39]
Noch einmal: „Europa treibt bereits Juden und kritische Intellektuelle ins Exil“, demnach aus ganz Europa hinaus, denn nur die Sinti und Roma flüchten in Europa. Er meint nicht Ayan Hirsi beispielsweise, die wirklich gezwungen war, Europa in Richtung USA zu verlassen; er meint nicht Theo van Gogh, der sich als zu alt für eine Flucht in die USA ansah und mit seinem Leben bezahlte; er meint nicht die französischen Juden, die nach Israel auswandern, und zwar in aller Regel nicht aufgrund des Front National, den sie eher vermehrter wählen als jemals zuvor. Gerade dies kann nur als Verzweiflungstat betrachtet werden, die aber insofern Recht haben, dass der FN bei weitem nicht die größte aktuelle Gefahr für Juden in Frankreich darstellt. Er meint auch nicht die schwedischen Juden. Kurz: der Faschismus ist nicht in islamischen Gemeinden zu suchen, deren Exekutoren tatsächlich Juden und Kritiker ermorden und vertreiben.
Hier liegt auch Fragwürdigkeit der Identifizierung des Asylrechts mit den restlichen Grundrechten, wie die Redaktion der Polemos sie nahelegt oder besser gesagt vornimmt, um – das dürfte offensichtlich sein – eine abstrakte Identifikation der Deutschen mit den Asylsuchenden, die über eine Motivation „aus „humanitären“ Gründen gegenüber Flüchtlingen“ hinausreicht, zu bewerben. Ihr werdet die nächsten sein, wollen sie sagen, was so offen etwas abgedroschen klänge. Was aber Riedel durchscheint, ist, dass ihm die Tatsache, dass mit der islamischen Vertreibung der französischen Juden die Rechte von Staatsbürgern aufgegeben werden, weitaus weniger aufstößt, als die Verletzung der Menschenrechte von Ausländern. So ekelhaft solche Unterteilung klingt, kann keine Kritik des Staates auf sie verzichten, da das Fallenlassen der Staatsbürger das deutliche Anzeichen ist, dass Europa nicht mehr lange eine Gegend sein dürfte, in die man vor politischer oder besser gesagt: islamischer Verfolgung fliehen kann.
Und hierin wird der Kampf gegen Antisemitismus in Verbindung mit einer kruden Israelsolidarität zur Farce, da in gewissen Fällen darauf gebaut zu werden scheint, dass die europäischen Juden ja nach Israel könnten – in dem Fall kann man sich dann auch ausschließlich auf den Iran fokussieren oder gar Israels Kampf ums Überleben dadurch unterstützen, dass man Flüchtlinge aus der Levante aufnehme. Der größte Unterschied in dieser Frage zwischen Sans Phrase und Bahamas besteht letztlich darin, dass erstere sich in der Ahnung, dass der Außenminister in aller Regel der beliebteste ist, auf den Primat der Außenpolitik zurückziehen, während Letztere Deutschland noch nicht wie die „konkret“ zum „judenfreien Land“ erklärt haben. Israel wird in der antirassistischen Ideologieschlacht immer mehr zur Entschuldigung herangezogen, dass man sich nicht zugetraut, für die hier lebenden Juden zu streiten.
Alles begann vonseiten der Bahamas – so ich mich nicht täusche – ganz konkret mit einer deutlichen Parteinahme der Redaktion für den Hilferuf Schusters und eine energische Solidarisierung mit diesem angesichts der damaligen Rassismusvorwürfe, die ihm widerfuhren. Durchsucht man das Blog von Felix Riedel nach dem Namen „Schuster“, erhält man hingegen die Auskunft: „Tut mir Leid, aber zu deinem Suchbegriff konnte nichts gefunden werden. Versuche es mit anderen Schlüsselwörtern doch erneut.“ Aber dann – um mal genauso rabiat zu formulieren- sollen Riedel und Genossen sich offen dazu bekennen, dass sie die Auswanderung bis Vertreibung der europäischen Juden nach Israel billigend in Kauf nehmen.
Riedel forciert abstrakter Weise eine massenhafte Umerziehung, die immer den Hauch einer humanistischen Gegenmissionierung aufweist; und doch darf man jene „Flüchtlingshilfe“, die genau das noch nicht einmal tut, trotzdem nicht kritisieren; darf also jene nicht kritisieren, die Flüchtlinge in äußerst fragwürdigen Verhaltensweise nicht nur nicht mit ihren Wertvorstellungen konfrontieren, sondern sie über weite Strecken aus völlig verfehlter Toleranz gar darin bestärken. Riedels Plan aber ist der Aufbau einer atheistischen globalen Heilarmee: „Man hat Material und Mittel, um theoretisch alle 60 Millionen Antisemitinnen und Antisemiten in Deutschland aufzuklären und man hat noch mehr Material und Mittel, um die Aufklärung gegen den Antisemitismus in die Welt zu tragen. Am besten geht das mit aufgeklärten Ex-AntisemitInnen aus den jeweiligen Sprachregionen, die man allerdings erstmal in größerer Zahl aufnehmen und aufklären muss.“
So wird aus der völlig ideologiefreien, rein der Not der Flüchtlinge geschuldeten Aufnahme jener Flüchtlinge, das Asyl plötzlich mit der Weihe einer aufklärerischen Kaderschmiede versehen.
Demnächst im zweiten Teil noch ein paar Thesen über den Begriff des Genozids und Riedels Indianerfetisch....
[1] Ich danke anonymer Weise für die doch recht zweifelhafte Möglichkeit, einen Blick in diese Welt des Gepöbels werfen zu können; ein Blick, der ehrlich gesagt, an jeder Hoffnung, die man noch hegt, zweifeln lässt. Die Kommentare entstammen meines Wissens allesamt öffentlichen Postings, die ich in aller Regel erst aber einer gewissen inhaltlichen Häufung zitiert habe, um nicht jeden Ausreißer mitaufzunehmen – im Gegensatz zum Herrn Riedel, der nun beginnt, einen einzelnen ein Jahr alten Kommentar(!) eines Bahamas-Autoren auf seinem Blog auszustellen, und sich an diesem genüsslich zu tun.
[2]http://nichtidentisches.de/2017/12/rechtsantideutsch-zur-genese-eines-phaenomens/
[3]https://www.zeit.de/2017/39/einwanderung-immigration-bevoelkerung-nutzen/komplettansicht
[4] Nietzsche, Foucault und die Medizin: Philosophische Impulse für die Medizinethik, S. 55. M.Hrvh
[5]http://www.pds-essen-im-rat.de/nrwinfo200102.html
[6]http://nichtidentisches.de/2017/12/rechtsantideutsch-zur-genese-eines-phaenomens/
[7] Der Fokus auf Merkel scheint mir vor allem darin begründet zu sein- und zwar „begründet“ im psychischen wie rationalen Sinn -, dass sie im Rahmen der Flüchtlingskrise erstmalig in ihrer Karriere überhaupt irgendetwas von sich gegeben hat, dass eine konkrete Positionierung zu irgendeinem Thema darstellt. Nicht zuletzt aus diesem Grund bin ich im Gegensatz zu Riedel auch nicht ganz bereit, ihre ganz persönliche Rolle in dieser Konstellation wegzureden, habe aber im selben Moment wenig Lust über das Ausmaß dieser Rolle zu spekulieren.
[8] Etwas aktueller heißt es nun aus der Feder Riedels „nur noch“ „die vertraglich garantierte Aufnahme von ein paar tausend Flüchtlingen durch Polen als "Biopolitik",“ meine eigentlich "Umvolkung".
[9] Mir ist durchaus bewusst, dass sich die Lage in Polen durchaus verändert hat:
„Im Mai 2015 waren noch über 70 Prozent der polnischen Bevölkerung dafür, Geflüchtete zumindest solange aufzunehmen, bis sie in ihr Heimatland zurückkehren können. Doch im April 2017 waren drei Viertel dagegen, Geflüchtete aus dem Nahen Osten und aus Afrika innerhalb der EU umzuverteilen. Diese rapide Meinungsänderung innerhalb zweier Jahre mag unter anderem an der Rhetorik von Politikern und Medien liegen, die das Wort „Flüchtling“ manchmal mit dem Wort „Terrorist“ gleichsetzen.“
Die Vermutung dürfte nicht mal falsch sein, aber sie vergisst, dass die deutschen Belehrungen und Forderungen maßgeblich dazu beigetragen haben, dass ein nicht unerheblicher Teil der Polen auf diese Rhetorik ansprang.
[10] „Kernklientel der AfD sind und bleiben Angestellte und (kleine) Selbstständige.“ Vor allem „eint die AfD-Anhänger eine pessimistische Wirtschaftserwartung.“
[11]Butler lässt grüßen? http://nichtidentisches.de/2010/07/judith-butler-hat-recht-der-csd-e-v-ist-ignorant-gegenuber-diskriminierung/
[12] HGS Band 2. S. 403
[13]https://kritischetheorie.wordpress.com/2016/03/10/kritik-der-fluechtlingspolitik/
[14]https://kritischetheorie.wordpress.com/2016/03/10/kritik-der-fluechtlingspolitik/
[15]http://versorgerin.stwst.at/artikel/dec-7-2015-0749/flucht-und-abwehr
[16]https://philomag.de/was-tun/
[17] http://www.bnd.bund.de/DE/Organisation/Leitung%20des%20Hauses/Reden_der_Leitung/Texte/171113_Hanns-Seidel-Stiftung.pdf?__blob=publicationFile&v=3
[18]https://www.welt.de/politik/ausland/article174796884/Millionen-Fluechtlinge-aus-Afrika-Zweite-Phase-der-Migration-hat-laengst-begonnen.html
[19]https://www.zeit.de/kultur/2016-01/fluechtlinge-grenzen-kiyak
[20] Gerade Libanon wäre hier ja ein ungünstiges Beispiel, da die faktische Souveränität dieses nur gegen Israel besteht, darüber hinaus längst vor den Flüchtlingen aus Syrien unterwandert war.
[21] Vielleicht gibt es hier auch ein totales Umdenken in Richtung starkem militärischen Engagement – ich würde nur nicht darauf setzen.
[22]http://beta.redaktion-bahamas.org/artikel/2018/79-der-westen-liegt-im-abendland/
[23] Ich würde sogar denken, dass man vernünftige Gründe dafür fände, das Judentum sogar aktiv – und sei es aufgrund seines nichtmissionarischen Charakters – zu privilegieren.
[24] Gemeint ist vermutlich jener „humanistische“ Marx, der beispielsweise „Die britische Herrschaft in Indien“ verfasste. Wahrscheinlich war das nur eben solch ein Ausrutscher wie die Kritik der politischen Ökonomie.
[25] Jene 15 Millionen, die oben noch „3 Prozent der EU-Bevölkerung und 2 Prozent der europäischen“ waren und von Europa aufgenommen werden sollten, sollen jetzt von Deutschland aufgenommen werden.
[26]https://www.bmfsfj.de/blob/122010/d35ec9bf4a940ea49283485db4625aaf/engagement-in-der-fluechlingshilfe-data.pdf
[27]http://www.bim.hu-berlin.de/media/Studie_EFA2_BIM_11082016_V%C3%96.pdf
[28]https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/20151221_si-studie-fluechtlinge.pdf
[29] Das wiederum sind nahezu 70%, die es laut Riedel überhaupt nicht gibt. „Man belege einmal ein Zitat, in dem nennenswerte Fluchthilfeorganisationen „Europas Ehre“ zu retten sich brüsten. Das entbehrt jeder Polemik, das ist einfach sehr, sehr miese Hetze gegen die, die sich den Arsch aufgerissen haben, um ein paar Menschen durch das System zu bringen, die seit Jahren gegen dieses „Europa“ aus Mauern und Stacheldraht kämpfen und ihm einige Überlebende abringen, in Lesbos, in Lampedusa, in den Gemeinden.“
[30]http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3829-5/so-schaffen-wir-das-eine-zivilgesellschaft-im-aufbruch/
[31]https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2017/12/mansour-moschee-neukoelln-a-arifi-seyam-sabri-mueller-.html
[32]http://www.salamev.de/%C3%BCber-uns/
[33]https://thunderinparadise.org/2018/05/03/roedelheimer-rotzloeffel/#more-178
[34] Am 31. Oktober 1932 gründete sich der Verein Islamischer Weltkongress/Zweigstelle Berlin, der am 31. Mai 1933 in das Vereinsregister beim Amtsgericht Berlin-Lichterfelde eingetragen wurde.
[35] Exemplarisch an der besonders aktiven Gruppe „Tariqa“: „Die ‚Tariqa’ wurde im Spätherbst 1942 gegründet. Am 16.01.1943 kam die erste Hiobsbotschaft. Bruder Herbert Muhammad Richter schickte mir die traurige Nachricht, 62 daß ‚unser lieber Bruder Achmed Said Nowack im Osten gefallen ist. Segen und Frieden auf ihn, er ging uns kämpfend voraus. Möge er uns ein Vorbild sein .... Last uns hoffen, daß das Völkermorden bald ein Ende nimmt und wir an unsere eigentliche Arbeit „Kampf für den Islam“ herangehen Können.’ „Nur wenige Monate später lebte auch er nicht mehr — gefallen vor dem Feind! Und am 14.06.1944 kam dann die lakonische, wegen ihrer Kürze und Nüchternheit besonders erschütternde Mitteilung von Bruder Amin Wolff: ‚Die Tariqa besteht nur noch aus Dir, Hassan [Kossow] und mir — aus.’ „Doch auch er und Hassan sollten den Krieg nicht überleben. Am Ende blieb nur ich übrig. Erst Jahre später kehrte auch Achmed Mosler nach einer abenteuerlichen Odyssee auf dem Balkan und jahrelanger Gefangenschaft in den berüchtigten sowjetischen Konzentrationslagern Sachsenhausen und Bautzen endgültig nach Haus zurück. „So wie um unsere kleine Bruderschaft, die ‚Tariqa’, war es auch um die muslimischen Gemeinden und ihren Institutionen im zerborstenen ‚Reich’ bestellt.“ Die Berliner Moschee und Mission der Ahmadiyya-Bewegung zur Verbreitung des Islam, Lahore – Geschichte und Gegenwart einer internationalen islamischen Gemeinschaft in Berlin – von Nasir Ahmad, S. 60f
[36]Auch ließe sich darstellen, dass die Rolle der Medien nachweislich fatal war. https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten-zu-studien/studien-2017/die-fluechtlingskrise-in-den-medien/
[37] So will Riedel ja auch partout nicht wahrhaben, dass man am Hurra-Optimismus dessen Umschwung antizipiert und mitkritisiert.
[38] So schreibt Riedel allen Ernstes: „Unter anderem wehrt er die Akteure „Die Falken“ und „Naturfreunde“ als „langweilig“ und „öde“ ab. Dem Vorwurf der Langeweile misstrauisch zu begegnen, sollte erste Übung in Kritischer Theorie sein, die den Antiintellektualismus in solchem Klamauk im Dienste der Abwehr von Kritik erkennt. Nicht zur Gleichsetzung, sondern zur freundlichen Ermahnung daran, in welche Gesellschaft sich solcher blökende, instrumentelle Spott über die Langeweile begibt, dieses Zitat: „Derber Humor wurde zur scharfen Waffe der Nazis im Ringen mit der Republik. „Mit schallendem Gelächter haben wir ein ganzes System niedergespottet“, bilanzierte 1937 der junge Chefredakteur des SS-Zentralorgans „Das Schwarze Korps“, Gunter d’Alquen. Goebbels vertrat die Devise: „Klamauk muss sein.“ Bei der Aufführung des pazifistischen Spielfilms „Im Westen nichts Neues“ am 5. Dezember 1930 im „Mozartsaal“ am Nollendorfplatz setzten SA-Leute im Publikum weiße Mäuse aus. Zuschauerinnen kreischten, bis die Vorführung unter dröhnendem Gelächter der SA-Männer abgebrochen wurde. Goebbels saß im Publikum. Seine Strategie der Provokation begründete er damit, man könne den Nazis vieles vorwerfen, doch nicht, dass sie langweilig seien.“ http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelgeschichte/d-88536783.html“
Es ist ein wenig ironisch, dass er jemandem, dessen Vortrag von einem empörten Bündnis verhindert werden sollte, ein Beispiel an den Kopf wirft, in dem eine Veranstaltung in nicht völlig unähnlicher Weise durch offene Nazis wirklich verhindert wurde; ohne zu bemerken, in welche Gesellschaft er dadurch ganz richtig all jene Vortragsverhinderungsversuche stellt, die ihm ja scheinbar ganz genehm sind. Schließlich ist es jener Felix Riedel, der meinte: „Schlimm kann man die Verhinderung [eines Vortrages durch antirassistische Wutstudenten] nur finden, wenn man davon ausgeht, dass das [Felix Perrefort und „Umfeld Bahamas“] welche "von unseren" sind.“ Mit solch einer expliziten Manier einer eng eingegrenzten „Eigengruppe“, - in keinsterweise in einer bestimmten Tradition steht, weshalb man sich auch gleich an irgendwelchen Ausladungskampagnen beteiligen kann.
Weiter schreibt Riedel „Gegnerschaft hat Maul aber diesmal nicht erfahren, weil er den Koran richtigerweise als Grundlage einer Kritik des Islam nahm. Gegnerschaft hat er von Gruppen und Personen erfahren, denen sowohl Islamkritik als auch Solidarität mit Israel gewiss keine Fremdworte sind, weshalb er eingeladen wurde“, zur Verteidigung einer Gruppe, die ihre Absage unter anderem damit einleitete: „Maul ist seit Jahren für seine unhistorischen, rassistischen Diskursen zuarbeitenden Versuche, Islamismus allein durch die Auslegung des Korans erklären zu wollen,“ bekannt.
Widersprechen würde ich der Vokabel der „Langweiler“ tendenziell dennoch, angesichts einer Gruppe, die den folgenden Workshop veranstaltet: „Bei diesen Workshop werden Gefühle erkannt, benannt und ausgehandelt: radical softness. inspiriert von den Ideen des_der Künstler_in und Blogger_in lora mathis‘ möchten wir uns mit radical softness auseinandersetzen. Wofür steht radical softness eigentlich? Was kann das Konzept für dich persönlich bedeuten? wie wirkt es sich in deinem Alltag oder in Beziehungen aus, wenn du eigene Verletzlichkeit_en mehr annimmst und auch sogenannte unangenehme Gefühle zulässt? warum ist softness_Sanftheit_Weichheit eigentlich radikal? Und wie beeinflussen Geschlechterrollen und andere gesellschaftliche Machtverhältnisse unseren Zugang zu dieser?“ https://www.facebook.com/NFJBerlin/posts/1321591307971102
Auch wäre Riedel den Nachweis oder zumindest die Erklärung noch schuldig, inwiefern sich der Ausdruck, jemand gehöre auf eine „Anklagebank“ mit dem „Abstellen auf autoritäre Strafgelüste des Mobs“ verträgt. Zu erinnern wäre er vielleicht daran, dass man nicht auf der Anklagebank bestraft wird, sondern dort entschieden wird, ob man bestraft wird, und zwar in einem Prozess, in dem man – anders als Rahmen von #metoo - gezwungen ist und wird, Beweise, Indizien oder ähnliches vorzubringen. Wie man diese Drehung wirklich erst hinbekommt, offenbart Riedel natürlich auf Facebook, wo nämlich plötzlich aus der Anlagebank das wird: Thomas Maul wünsche „Frauen in den Knast, weil sie über sexuelle Belästigung sprechen“. Wenn man schon selbst keine Wert auf die eigene Sprache legt, könnte man zumindest anderen zugestehen, dies zu tun, und zu respektieren, indem man sie richtig wiedergibt.
Ich muss gestehen, ein wenig peinlich gerührt gewesen zu sein, als ich nachdem dies hier geschrieben wurde, sah, dass Herr Riedel sich tatsächlich als Alternative angeboten hatte.
[39]http://versorgerin.stwst.at/artikel/dec-7-2015-0749/flucht-und-abwehr
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